Interkulturelle Kompetenz in der ehrenamtlichen Zusammenarbeit mit Flüchtlingen – Teil 3

Mehrnousch Zaeri-Esfahani (Fotograf: Gustavo Alàbiso)
Mehrnousch Zaeri-Esfahani (Fotograf: Gustavo Alàbiso)

Ein Vortrag der Sozialpädagogin Mehrnousch Zaeri-Esfahani vom Diakonischen Werk Baden-Baden/Rastatt war für die zahlreich erschienen Mitglieder des AK Asyl ein weiterer Baustein in den Fortbildungsangeboten des Arbeitskreises.

Interkulturelle Kompetenz sei eine wichtige Voraussetzung bei der ehrenamtlichen Zusammenarbeit mit Flüchtlingen, so die Referentin. Helfer können so viele Enttäuschungen und Frustrationen vermeiden, zum anderen erleben Flüchtlinge ein entspannteres Miteinander, was zum Gelingen von Integration beitragen kann.

Frau Zaeri-Esfahani beschrieb an Hand von eigenen Erlebnissen und Beispielen aus der Flüchtlingshilfe, die Unterschiede zwischen der hiesigen Kultur und den Kulturen der Herkunftsländer.

Viele Flüchtlinge kommen aus kollektivistischen Gesellschaften, da ist der Einzelne Teil einer Gemeinschaft, die von mehreren, geschlossenen Gruppen umgeben ist. Loyalität und Aufopferung gegenüber der eigenen Gruppe, soziale Kontrolle und starke Bindungen sind für das Zusammenleben in der Gemeinschaft bestimmend. Kritik wird indirekt geäußert, offene Kritik gilt als Respektlosigkeit. Die eigene Meinung zurück zu stellen und für Harmonie zu sorgen, gilt als ein Kennzeichen von Reife.

In Deutschland leben wir in einer Gesellschaft, in der das Individuum und seine Privatsphäre einen hohen Stellenwert besitzt. Ein Kennzeichen von Reife ist es eine eigene Meinung zu haben und sie ausdrücken zu können. Die individualistische Gesellschaft bietet dem Einzelnen viele Möglichkeiten – Freiheit und Selbstverwirklichung gehören dazu.

Für kollektivistisch geprägte Menschen ist eine solche Gesellschaft mit ihren demokratischen Grundsätzen, ihren Gesetzen und Regelungen, die den Einzelnen und vielleicht auch sie selbst schützt, eine neue Erfahrung. Ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesellschaft ist bei ihnen oft nicht vorhanden.

Von Ehrenamtlichen wird dies oft als Unverschämtheit empfunden. In kollektivistischen Gesellschaften gibt es jedoch keine Zivilgesellschaft, für die das Individuum verantwortlich ist. Frau ZaeriEsfahani beschrieb eindrücklich, wie die Flüchtlinge im Herkunftsland um alles kämpfen mussten und daher gelernt haben, Behörden zu misstrauen. Vertrauen und Verlässlichkeit müssten erst erlernt werden.

Die Machtdistanz als eine weitere Kulturdimension spielt in der ehrenamtlichen Zusammenarbeit mit Flüchtlingen eine große Rolle. In kollektivistischen Gesellschaften gibt es eine hohe Machtdistanz. Ungleichheit wird erwartet und erwünscht. Titel und Status sind wichtig. Macht wird gezeigt. In Deutschland dagegen zeigen sich Mächtige gerne als Mann von der Straße. Als Beispiel zeigte Mehrnousch Zaeri-Esfahani ein Foto von einer Putzaktion von Bürgermeistern in Karlsruhe, bei der diese in der Kleidung einer Putzkolonne einen öffentlichen Platz von Müll reinigten. Im Iran würde eine solche Aktion Neuwahlen zur Folge haben, so die Referentin, da dies einen Autoritätsverlust zur Folge hätte.

Frau Zaeri-Esfahani stellte den Anwesenden nach ihren Ausführungen die Frage: „Was denkt ein Flüchtling aus einer kollektivistischen Gesellschaft über das deutsche Beratungssystem und über das ehrenamtliche Engement, wo das Individuum im Blickfeld steht?“

Zu bedenken gab die Referentin, dass die meisten Beratungs- und Hilfsangebote der deutschen Flüchtlingshilfe zur Selbsthilfe befähigen sollen. Die Hilfe im Rahmen dieser Angebote soll von den Flüchtlingen aktiv aufgesucht werden. Am Ende des Vortrags standen Fragen, die sich die ehrenamtlichen Helfer in der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen immer wieder stellen müssten:

1. Erwarten wir von einem neu Eingewanderten mit polychronem Zeitverständnis, dass er sich ein monochrones Zeitverständnis aneignet und wenn ja, wie schnell?

2. Kann ein in einer kollektivistischen Gesellschaft geprägter Mensch eine individualistische Denkweise annehmen? Wie lange wird er dafür brauchen? Und kann er unser Angebot, das das Individuum im Blick hat, annehmen?

3. Welchen Status haben bürgerschaftlich Engagierte für einen Menschen, der aus einer Gesellschaft mit hoher Machtdistanz zu uns geflohen ist?

Frau Zaeri-Esfahani machte deutlich, dass das Ankommen und sich Vertrautmachen mit einer fremden Kultur für Flüchtlinge ein länger dauernder Prozess ist. Eine Vielzahl von Angeboten und Aktivitäten seien gerade für die neu Angekommenen wenig sinnvoll.

Viel wichtiger für sie sei es erst mal zur Ruhe zu kommen und sich zurecht zu finden. Den anwesenden ehrenamtlichen Helfern zeigte sich durch den Vortrag erneut, wie wichtig es ist, gute Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, damit Menschen zusammen kommen können und „wahre“ Integration stattfinden kann.

8 Jahren ago

1 Comment

  1. Vielen Dank für diese interessanten Stichwörter:
    Macht-Distanz, kein Verantwortungsgefühl in der Zivilgesellschaft:
    Das haben wir in unseren Erfahrungen mit Flüchtlingen schon gespürt, aber wir konnten es bisher nicht so klar einordnen und kannten den Grund dafür nicht.

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